Eine Kindheit auf dem Land: Pures Idyll oder einfach nur öde? Ein Gespräch mit Familienberater Dirk Bayer

Es fängt bei der Organisation des Alltags an, beim Schulbus, der viel zu früh fährt, beim Einkaufen, bei Unternehmungen – und es hört bei Diskussionen über die gemeinsame Arbeit in Haus und Hof noch längst nicht auf: Familien, die auf dem Land und vielleicht sogar auf einem Bauernhof leben, stehen in vielen Bereichen vor anderen Herausforderungen als Familien in den Städten. Dirk Bayer, Sozialpädagoge und Familienberater aus Bamberg, bietet in der Landvolkshochschule Feuerstein im fränkischen Ebermannstadt das Seminar „Familie auf dem Land – besondere Herausforderung für alle!“ an.

Ich habe mit dem Experten über die besondere Situation der Land-Familien gesprochen – und ihn um ein paar Tipps gebeten, wie sie Alltag und Familie besser unter einen Hut kriegen.

Mama und die Matschhose: Dirk, ganz naiv stelle ich mir vor, dass sich die Kinder auf dem Land immer draußen treffen, viel auf den Wegen und im Wald spielen, Abenteuer erleben – und somit eine erlebnisreiche Kindheit haben. Täusche ich mich?

Dirk Bayer: Mein Eindruck ist, es ist oft nicht so. Viele Eltern haben auch auf dem Land Hemmungen, ihre Kinder raus zu schicken, das mache man nicht mehr. Vielleicht, weil die Nachbarn den Eindruck bekommen könnten, dass die Kinder verwahrlosen, wenn sie ohne Eltern unterwegs sind. Und wer dann rausgeht, trifft keinen mehr. Dann kriegen sie erstmal Langeweile, und Langeweile lässt kaum jemand mehr zu. Dabei könnten daraus gute Erlebnisse entstehen, Grenzerfahrungen, Abenteuer, die die Kompetenz wachsen lassen. Nebenbei: Schnitzen lernt man nur mit scharfem Messer. Der tägliche Umgang mit Herausforderungen lässt uns wachsen und hilft uns, uns selbst kennenzulernen und zu begreifen… Wer sich nicht mit seiner Umgebung auseinandersetzt, entfremdet sich, hat keinen Bezug mehr, und das dürfte kaum erfüllend sein.

Mit Tieren leben – oder mit dem Zumba-Kurs?

Ist es heute schwieriger als früher, dass Kinder und Jugendliche das Land- und Bauernhofleben akzeptieren, wenn sie sich über die sozialen Netzwerke mit Kindern aus der Stadt vergleichen können und täglich vor Augen geführt bekommen, welche Möglichkeiten diese haben?

Dirk Bayer: Klar, das kann einen unzufrieden machen. Wer auf einem Bauernhof wohnt, muss oft mithelfen. Dazu kommt, dass Jugendliche häufig den Eindruck haben, es gebe in ihrer Freizeit nichts zu tun außer fernzusehen und zu zocken. Es würde sie vermutlich zufriedener machen, wenn sie sich die Qualität verdeutlichen, die das Leben auf dem Land mit sich bringt: dass es eine Besonderheit ist, mit Tieren zu leben, vielleicht ein eigenes Pferd zu haben, in Freiheit spielen zu können. Vielleicht wird das den Kindern und Jugendlichen bewusster, wenn sie die Freunde aus der Stadt einladen. Dann sehen sie vielleicht mit anderen Augen, wie faszinierend es ist, ein Lagerfeuer zu machen und darin Kartoffeln zu grillen, Tiere zu füttern, im Wald ein Lager zu bauen.

Können die Eltern zu mehr Zufriedenheit beitragen?

Dirk Bayer: Es wäre gut, wenn sich die ganze Familie trotz der vollen Arbeitswoche Zeit einplant, um miteinander zu sprechen. Das ist nicht leicht: Oft frisst die Arbeit die Bauern auf, oft ist die Landwirtschaft nur der Nebenberuf, weil zum Geldverdienen ein anderer Beruf her muss. Dann müssen sich die Eltern in jeder freien Minute um die Landwirtschaft kümmern, bis sie todmüde ins Bett fallen. Zeit für die Kinder und füreinander haben die Paare oft keine, die Kinder sind oft den ganzen Tag allein – und beschäftigen sich nur mit dem Fernseher. Wer an seinem Glück arbeiten will, sollte möglicherweise die Prioritäten neu ordnen, falls möglich. Abfragen, welche Vorstellungen und Werte jedes Familienmitglied hat und überlegen, wie man diese unter einen Hut bekommt. Oder zumindest: Verständnis füreinander haben.

Wie könnte eine konkrete Verbesserung für die Kinder aussehen?

Dirk Bayer: Vielleicht ist es der Herzenswunsch, eine Zumba-Stunde in der Stadt zu nehmen – aber den Eltern war bislang die Fahrzeit, 45 Minuten einfach, zu weit. Wenn sie wissen, wie wichtig es dem Kind ist, ist es vielleicht doch möglich, die Zumba-Stunde mit dem wöchentlichen Großeinkauf in der Stadt zu kombinieren. Was jedenfalls möglich ist, das sollten die Familien miteinander bereden, sie sollten offen sein und nach gemeinsamen Lösungen suchen. Vielleicht lässt sich manches verbessern, wenn andere Menschen an den Hof geholt werden, etwa ein Au Pair oder die Großeltern.

SEMINAR FÜR LANDFAMILIEN – IM NOVEMBER AUF FEUERSTEIN

Wer Interesse am Wochenend-Seminar von 22. bis 24. November mit Dirk Bayer hat – hier gibt es weitere Informationen.

Danke für das Gespräch!

Wie ist es bei Euch, lebt Ihr auf dem Land oder in der Stadt? Und habt Ihr Euch bewusst für das eine oder das andere entschieden?

 

 

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