„Mama, die Paula hätte einen kleinen Dino für mich gehabt, aber ich weiß nicht, ob ich den hätte annehmen dürfen“, sagte mein 7-Jähriger, als er aus der Schule kam. „… wegen Corona.“ Und seine 9-jährige Schwester erzählte: „Wenn ich in der Pause die Maske runter mache, weil ich mein Brot esse, rufen ganz viele: ‚Maske, Maske, Maske!‘ Mann, das nervt.“
Ich selber verhalte mich auch noch oft komisch. Ich halte die Luft an, wenn ich im Park an anderen Menschen vorbeijogge. Und desinfiziere mir hinterher die Hände, obwohl ich nur an der frischen Luft unterwegs war. Und den Bekannten, die gerade in Quarantäne sind, habe ich natürlich kleine Geschenke für die Kinder in einer Tüte vor die Tür gestellt. An die Tür gehängt hab ich sie nicht – aus Sorge, ich könnte dabei den Türknauf anfassen.
Neues Qualitätskriterium für Freundschaften: “Die sind vorsichtig”
Bevor ich meine Kinder außerdem mit anderen spielen lasse, verhöre ich ihre Eltern: „Wen habt Ihr denn so getroffen?“ – Um sicherzugehen, dass es nicht zu viele Begegnungen waren. „Die ist sehr vorsichtig“ – so lautet nämlich gerade das Qualitätskriterium auch für meine Freundinnen, mit denen ich dann doch mal – schön einzeln – einen „Distance Walk“ mache. Früher lauteten die Qualitätskriterien für Freundschaften eher: „Die ist lustig, die ist schlau, die ist gesellig“.
Macht das was mit uns allen? Dieses teils unsinnige, teils berechtigte Vorsichtigsein? Wie lange wird es nach diesem ominösen „Nach Corona“ dauern, bis die Kinder wieder wirklich komplett unbeschwert Geschenke von ihren Schulfreunden annehmen? Bis sie keine Maske mehr abnehmen müssen, um ins Pausenbrot zu beißen, weil die längst im Schrank verstaubt? Ich hoffe, wir gewöhnen uns dann genauso schnell wieder an das alles, wie wir uns (zwangsläufig) an die Corona-Maßnahmen gewöhnen mussten.
Werden wir gestörte Soziopathen?
Übrigens glaube ich nicht, dass uns diese ganzen Regeln grundsätzlich zu gestörten Soziopathen machen. Wir versuchen einfach alle, uns diesen verhassten Infekt nicht ins Haus zu holen – und ihn auch potenziell nicht weiterzutragen. Ich glaube, wir Menschen sind sehr anpassungsfähig und verhalten uns so, wie es halt in bestimmten Situationen und Lebenslagen sein muss, die meisten jedenfalls. Aber ich überlege schon, ob mein Erstklässler, der seine Mitschüler – außer beim Pausebrotessen – nur mit Maske kennt, diese Übervorsicht im Umgang mit anderen einfach abschütteln kann. Immerhin lebt er schon 1/7 seines Lebens damit, also eine Ewigkeit. Ich wünsch es ihm jedenfalls: dass er noch viele Jahre ziemlich unbeschwerter Kindheit haben wird, und niemals mehr überlegen muss, ob er spontan ein kleines Geschenk von einem Mitschüler – oder vielleicht sogar dessen angebissenes Pausenbrot – annehmen darf.
Übrigens: Er hat den geschenkten Dino eingesteckt, und er ist ihm heilig. Ich bin froh darüber, mir hätte es das Herz gebrochen, wenn er darauf verzichtet hätte. Ich glaube, DAS hätte was mit mir gemacht.